Die Kunst, wie Leben gelingen kann

Die Kunst, wie Leben gelingen kann

von Martina Bertschi | 20.09.2014

Über den Jahreswechsel 2013/14 fand der erste Neujahrskurs für junge Berufstätige statt. Bruder Thomas führte die Teilnehmenden kreativ in die poetischen Bücher der Bibel ein. Einige überraschende Einsichten über das Buch der Sprüche.

Hochmut kommt vor dem Fall (Sprüche 16,18). Vergelt’s Gott (Spr. 25,22). Wer andern eine Grube gräbt, fällt selbst hinein (Spr. 26,27). Wer kennt diese Weisheiten nicht? Aber wer weiss auch, dass sie ihren Ursprung in der Bibel haben? Im Buch der Sprüche.
Zusammen mit den Psalmen, Hiob, dem Prediger und dem Hohelied gehört es zu den fünf poetischen Büchern der Bibel. Etwa 40 Prozent des Alten Testaments bestehen aus poetischer Sprache – was man aber in heutigen Bibelübersetzungen oftmals nicht sieht. Bei Poesie denkt man unweigerlich an Reime: Bei der poetischen Sprache der Bibel aber handelt es sich nicht um Reime, sondern beispielsweise um Sprachbilder. Beispiele: Ein goldener Ohrring und ein Halsgeschmeide aus feinem Gold, so ist ein weiser Mahner für ein hörendes Ohr (Spr. 125,12). Oder: Er (der gottesfürchtige Mensch) ist wie ein Baum, gepflanzt an Wasserbächen, der seine Frucht bringt zu seiner Zeit (Psalm 1,3).
Dass in der Bibel viele Sprachbilder vorkommen, ist aus mindestens zwei Gründen interessant: Erstens, weil Sprachbilder beide Hirnhälften ansprechen und darum besser haften bleiben – das Kopfkino entsteht. Dies wissen auch die guten Rhetoriker: Sprachbilder erhalten oft eine zentrale Rolle in ihren Reden.
Zweitens lassen sich Sprachbilder meistens einfacher übersetzen als Reime. Bruder Thomas fragte sich deshalb: «Ob Gott darum seinem Volk diese Art von Poesie geschenkt hat? Ich weiss es nicht.»
Das Buch der Sprüche gehört zur weisheitlichen Literatur, die im Alten Orient sehr verbreitet war und das Leben und alle Bereiche des Daseins umfasste. Weisheit definiert Bruder Thomas so: Die Fähigkeit zu erkennen, wie die Welt und das Leben geordnet sind und wie der Mensch sich am besten in diese Ordnung einfügt. Die Weisheit hat ihren Ursprung bei Gott, der die Welt weise gegründet hat.
Bei der Weisheit handelt sich also um das Wissen, wie Leben gelingen kann. Sie hat folglich nicht zwingend etwas mit dem Intelligenzquotienten zu tun. So schreibt es auch «The Message» (eine Bibelübersetzung): Weisheit hat nichts zu tun mit reiner Information oder Allgemeinwissen. Auch ein akademischer Titel ist kein Diplom in Weisheit. Weisheit ist aber auch nicht in erster Linie darum bemüht, uns vor den moralischen Abgründen fernzuhalten, obwohl sie auf uns eine tiefe moralische Wirkung hat.
Die Weisheit ergreift im Kapitel 8, 22-31 selber das Wort und wird in christlicher Auslegung als Hinweis auf Christus gedeutet:
Der HERR hat mich geschaffen als Anfang seines Weges, als erstes seiner Werke von jeher. Von Ewigkeit her war ich eingesetzt, von Anfang an, vor den Uranfängen der Erde.
Als es noch keine Fluten gab, wurde ich geboren, als noch keine Quellen waren, reich an Wasser. Ehe die Berge eingesenkt wurden, vor den Hügeln war ich geboren, als er noch nicht gemacht die Erde und die Fluren, noch die Gesamtheit der Erdschollen des Festlandes. Als er die Himmel feststellte, war ich dabei. Als er einen Kreis abmass über der Fläche der Tiefe, als er die Wolken droben befestigte, als er stark machte die Quellen der Tiefe, als er dem Meer seine Schranke setzte, damit das Wasser seinen Befehl nicht übertrat, als er die Grundfesten der Erde abmass: Da war ich Schosskind bei ihm und war seine Wonne Tag für Tag, spielend vor ihm allezeit, spielend auf dem weiten Rund seiner Erde, und ich hatte meine Wonne an den Menschenkindern.
Die Weisheit hat auch etwas Kulturübergreifendes. Bruder Thomas erzählte über eine Erfahrung aus seiner Lehrtätigkeit im Kongo. Er gab seinen Studenten den Auftrag, aufzuschreiben, was für sie zu einem gelingenden Leben gehört, oder dazu Sprichwörter in ihren Sprachen zu suchen. Die Verblüffung war gross, als klar wurde, dass die kongolesischen Sprichwörter dieselben Botschaften beinhalten wie das Buch der Sprüche.

Lese-Methode

Nach dem Input folgte das Lesen der Kapitel 10 bis 31 und das Schlagen einer Brücke ins eigene Leben: «Welche Fragen beschäftigen euch als junge Berufstätige im Beruf und im Alltag?» Mit dieser Kernfrage holte Bruder Thomas sein Publikum ab, das verschiedene Fragen nannte, wie zum Beispiel: Work-Life-Balance, sich im Beruf einsetzen ohne sich auffressen zu lassen. Bin ich am richtigen Ort? Was tue ich mit meinem Geld?
Danach erhielten die Teilnehmenden den Auftrag, ein ihnen zugeteiltes Kapitel in Zweiergruppen auf diese Fragen hin zu scannen. Gleichzeitig sollten sie auch «Trouvaillen» und/oder «Schrott» notieren.
Nach rund einer halben Stunde trafen sich alle wieder im Plenum zum Austausch. Hilfreiche, spannende und kuriose Verse wurden einander vorgelesen – Worte zum Nachdenken, ins Herz fallen zu lassen oder zum Schmunzeln. Viel Gelächter erntete zum Beispiel der Vers 22,13: Der Faule sagt: Ein Löwe ist draussen; mitten auf den Plätzen könnte ich getötet werden! Oder Vers 27,15: Ein tropfendes Dach, das einen vertreibt am Tag des Regengusses und eine zänkische Frau gleichen sich.
Der Vers 29,15: Rute und Ermahnung geben Weisheit; aber ein sich selbst überlassener Junge macht seiner Mutter Schande, sorgte für eine kurze Diskussion, in der Bruder Thomas darauf hinwies, dass manche Verse «von hinten» gelesen werden müssen. In diesem Fall würde das heissen: Ein sich selbst überlassener Junge macht seiner Mutter Schande – hinter diesem Satz können wohl auch heute noch die meisten stehen. Der vordere Teil: Rute und Ermahnung geben Weisheit, sei einfach die Gegenüberstellung aus jener Zeit.
Zwar wurden keine ganz konkreten Antworten auf die eingangs zusammengetragenen Fragen gefunden, wohl aber viel Weises für den Gesamtblick eines gelingenden Lebens (und somit auch eines gelingenden Berufsalltags). So zum Beispiel diese zwei Bibelstellen: Wer seine Worte zügelt, besitzt Erkenntnis; und wer kühlen Geist bewahrt, ist ein verständiger Mann (17,27). Höre auf guten Rat und nimm Zucht an, damit du für die Zukunft weise wirst! (19,20)
Bevor die jungen Berufstätigen das Gehörte in Kleingruppen weiter vertieften und diskutierten, beendete Bruder Thomas den Teil über das Buch der Sprüche, indem er darauf hinwies, dass Weisheit eben auch bedeute, zu sehen, wie die Welt gestrickt sei. «Wenn ein Strickmuster vorhanden ist, braucht es auch jemanden, der es entworfen hat. – So landet man beim Schöpfer», sagte Bruder Thomas: «Und Gott hat in seine Schöpfung hineingewoben, dass sich Gerechtigkeit und Barmherzigkeit auf die Dauer lohnen.»

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