Spiritualität von unten

von Anselm Grün, Meinrad Dufner |

Gott spricht nicht nur über die Bibel zu uns, sondern auch durch unsere Gedanken, Träume und durch unseren Leib. Nicht unsere Tugenden sind es, die uns vor allem für Gott öffnen, sondern unsere Schwächen, ja sogar unsere Sünden.
Grün, Anselm; Dufner, Meinrad. Spiritualität von unten. ISBN 3878684991. Münsterschwarzach: Vier Türme 2004. 131 Seiten.

Eine Buchzusammenfassung von Felix Ruther

Einleitung

In der Geschichte der Spiritualität (Sp) gibt es unter anderem zwei Strömungen. Die Sp von unten und die Sp von oben. Spvu meint, dass Gott gerade auch durch unsere Wunden und unsere Schwächen zu uns spricht. Evagrius Ponticus formulierte diese Sp mit dem klassischen Satz: „Willst du Gott erkennen, lerne vorher Dich selber kennen.“ Der Aufstieg zu Gott geht über das Hinabsteigen in die eigene Realität bis zu den Tiefen des Unbewussten. Die Spvu sieht den Weg zu Gott nicht als Einbahnstrasse. Der Weg zu Gott führt vielmehr über Irr- und Umwege, über das Scheitern und die Enttäuschung von sich selbst. Nicht meine Tugend ist es, die mich vor allem für Gott öffnet, sondern meine Schwäche, meine Ohnmacht, ja sogar meine Sünde.

Die Spvo setzt bei den Idealen an, geht von Zielvorstellungen aus, die der Mensch durch Askese und Gebet erreichen sollte. Man fragt: Wie hat ein Christ zu sein? Was muss er tun? Wer sich aber mit den Idealen identifiziert steht in der Gefahr, die Wirklichkeit, welche diesen Idealen nicht entspricht zu verdrängen. So wird der Mensch innerlich gespalten und das macht krank. In der Spvu geht es darum, dass wir gerade dort, wo wir am Ende unserer Möglichkeiten sind, offen für eine persönliche Begegnung mit Gott werden. Das wahre Gebet, sagt der Mönch, steigt aus der Tiefe unserer Not empor, nicht aus unseren Tugenden.

Jesus hat uns nicht einen Weg gezeigt, der Stufe um Stufe zu Gott hinaufsteigt. Er zeigte uns den Weg in die Tiefe der Demut. Wir haben also zu wählen. Wer Gottes Nähe durch Heldentum und Tugend erlangen will, der soll`s. Er soll aber gewarnt sein, denn er wird dabei mit seinem Kopf gegen eine Wand rennen. Die Spvu fragt, wie wir mit den Scherben unseres Lebens umgehen sollen.

Spvo ist der Weg der Demut. Im Lateinischen  heisst Demut „Humilitas. Das hat mit Humus, mit Erde zu tun. Demut ist die Aussöhnung mit unserer Erdhaftigkeit, mit unseren Trieben und unseren Schatten. Demut bezeichnet unser Verhältnis zu Gott. Sie ist der Ort jener Tiefe, in der wir Gott begegnen, aus der das wahre Gebet erklingt.

1. Spiritualität von oben (Spvo)

Es geht nicht darum die Spvo im völligen Gegensatz zu jener von unten zu sehen. Einseitigkeit ist nie hilfreich. Es gibt auch eine gesunde Spannung zwischen diesen beiden. Die Spvo stellt uns Ideale vor Augen, denen wir nacheifern sollen. Ohne Ideale würden viele an ihren Möglichkeiten vorbei leben. Um wachsen zu können, brauche ich Vorbilder. Ohne Ideale kreist man oft nur um sich selber. Gestalt wächst an Gestalt. Der Blick auf die Ideale soll uns aber nicht entmutigen, sondern ermutigen nicht zu klein von uns zu denken und unsere persönliche Berufung zu entdecken. Krankmachend wirken Ideale nur, wenn sie die Beziehung zu unserer Realität verlieren. Dann kann es geschehen, dass man durch Verdrängung blind wird für die eigene Realität. Man lebt dann auf zwei Ebenen und ist in der Gefahr die verdrängten Leidenschaften auf andere zu projizieren. Die Verdrängung des Bösen im eigenen Herzen führt zur Verteufelung anderer.

Die Spvo steht meist am Anfang unseres geistlichen Weges. Irgendwann muss sie mit der von unten verbunden werden. Die Gefahr der Spvo besteht darin, zu meinen, wir könnten aus eigener Kraft zu  Gott gelangen – es ist eine “Holzwegvollkommenheit. Wir können durch eigene Anstrengung nicht zu Gott gelangen. Irgendwann müssen wir kapitulieren und eingestehen, dass nur seine Gnade uns verwandeln kann.

2. Begründung der Spiritualität von unten

a) Biblische Beispiel

Die Bibel stellt uns als Vorbilder des Glaubens nie perfekte und fehlerlose Menschen vor Augen, sondern gerade Menschen, die eine schwere Schuld auf sich geladen haben und aus der Tiefe heraus zu Gott geschrieen haben. Die Grossen des ATs mussten erst durch die Talsohle ihrer eigenen Schuld und Ohnmacht hindurch, um ihre Hoffnung allein auf Gott zu setzen und sich so von Gott zu Leitbildern umwandeln zu lassen.

Die Evangelisten haben auch nie beschönigt. Es war für sie offensichtlich wichtig, schonungslos zu bekennen, dass Jesus nicht fromme und zuverlässige Apostel ausgewählt hat, sondern gerade Sünder und fehlerhafte Menschen.

Auch Paulus, als Pharisäer der typische Vertreter einer Spvo musste zuerst von seinem Ross herab stürzen. Am Boden wird er konfrontiert mit der Spvu. Da ist er hilflos und ohnmächtig. Und er erfährt, dass Christus selbst an ihm handelt und ihn verwandelt. In seiner Botschaft von der Rechtfertigung allein aus dem Glauben zeigt er, dass wir nie durch Tugend und Askese Gott erreichen können, sondern nur wenn wir die eigene Ohnmacht anerkennen. Dann allein bekommen wir ein Gespür für die Gnade. Paulus hat auch gerade an seiner Krankheit (2. Kor 12,7) erfahren, dass Gottes Kraft desto stärker in uns wirkt, je schwächer die eigene Kraft ist (2. Kor 12,9). Unser Wunsch ist es, durch Gott stärker zu werden, vor den Menschen besser da zu stehen, moralisch besser zu werden durch das geistliche Leben. Doch das Paradox ist, dass wir ausgerechnet dort, wo wir schwach sind, wo wir uns nicht in der Hand haben, für Gott am offensten sind. Gerade in der Schwäche sind wir frei von der Versuchung, Gott aus eigener Kraft erreichen zu wollen.

Auch das Verhalten Jesu zeugt von einer Spvu. Bewusst wendet er sich den Sündern zu und verurteilt die Pharisäer, welche eine Spvo verkörpern. Meist suchen sie mit dem Einhalten der Gebote gar nicht Gott sondern ihre eigene Gerechtigkeit. Das zerschlagene und verwundete Herz wird für Gott aufgebrochen (vgl. Zöllner in Lk 18,9-14).

Auch in den Gleichnissen Jesu wird eine Spvu sichtbar: Schatz im Acker (Mt 13,44ff); in der Erde, im Schmutz finden wir den Schatz. Die Perle wächst in der Wunde der Muschel. Wir finden den Schatz in uns nur, wenn wir mit unseren Wunden in Berührung kommen. Immer dort, wo wir ganz am Ende sind und uns nichts mehr übrig bleibt als aufzugeben, dort kommen wir in Beziehung mit Christus, dort können wir ahnen, dass wir ganz und gar auf ihn angewiesen sind. Dort wächst die Sehnsucht nach dem Erlöser. Auch im Gleichnis vom Unkraut im Weizen (Mt 13,24-30) wird uns gezeigt, dass die Spvo, welche gerne die Ideale erfüllen möchte, mehr Schaden anrichtet. Wer fehlerlos sein will, reisst auch seine Lebendigkeit aus, der zerstört mit seiner Schwäche auch seine Stärke. Wer vor allem korrekt sein möchte, auf dessen Acker wird nur noch ein kümmerlicher Weizen wachsen. Viele sind so sehr auf das Unkraut fixiert und kreisen ständig darum ihre Fehler auszuradieren, dass das Leben darunter leidet. Vor lauter Korrektheit sind sie ohne Kraft und Leidenschaft. Oft müssen wir uns mit unserem Unkraut aussöhnen. Gott wird dann am Ende schon alles trennen.

Jesus zeigt uns immer wieder, dass Gott das Verlorene und Verdrängte sucht (verlorenes Schaf, verlorener Sohn), denn dort, wo der Mensch nichts hat, ist er offen für die Gnade Gottes. Daher preist Jesus auch die Armen selig, jene die hungern und dürsten und sich nach Gerechtigkeit sehnen.

Nicht nur der Tod, auch die Menschwerdung Jesu ist Zeichen für eine Spvu. Im Stall in einem Provinznest wird er geboren. Bei der Taufe steigt er in den Jordan, welcher erfüllt von der Schuld der Menschen ist. So wird es auch bei uns sein. Wenn wir in den Jordan steigen um in unserer eigenen Schuld zu stehen, wird sich der Himmel über uns öffnen, und Gott kann auch zu uns sein Wort absoluter Daseinsberechtigung über uns aussprechen: Du bist mein geliebtes Kind, an dir habe ich Wohlgefallen.

In Joh 3,13 sagt Jesus: Niemand ist in den Himmel hinaufgestiegen, ausser dem, der vom Himmel herabgestiegen ist. Wenn wir mit Christus zum Vater aufsteigen wollen, müssen wir zuerst mit ihm hinabsteigen zur Erde, ins Irdische, in unsere Menschlichkeit (auch Eph 4,9 f).

Der klassische Ausdruck dieser Spiritualität ist der Hymnus in Phil 2,6-9. Im Abstieg in unser Menschsein und im Aufstieg über alle Himmel besteht das Erlösungswerk Jesu. Der Abstieg, die Entäusserung (kenosis) stellt unsere Begriffe von Gott und Mensch auf den Kopf. Und Paulus ermahnt uns, so wie Jesus gesinnt zu sein (Phil 2,5).


b) Monastische Tradition

Für die frühen Mönche führt der Weg zu Gott über die Begegnung mit der eigenen Realität. Bevor der Mönch lernt, ohne Zerstreuung zu Beten und in der Kontemplation mit Gott eins zu werden, muss er sich zuerst mit seinen Leidenschaften vertraut machen. Diese müssen erst angeschaut werden, damit wir dem wirklichen Gott begegnen können. Sonst würden wir statt Gott nur den eigenen Projektionen begegnen. Der Weg führt über die Auseinandersetzung mit den Gedanken und Leidenschaften.

Dabei ist gerade auch die Erfahrung der eigenen Sünde ein Weg, die Ohnmacht zu spüren, dass man sich selbst nicht bessern kann. Isaak der Syrer: “Derjenige, der seine Sünden kennt, ist grösser als der, der durch sein Gebet Tote auferweckt. Derjenige, der eine Stunde lang über sich selbst stöhnt und seufzt, ist grösser, als der, der die Engel sieht. Derjenige, der einsam und zerknirscht Christus nachfolgt, ist grösser als der, der sich der Gunst der Massen in den Kirchen erfreut.” Die Spvu sieht man auch im Spruch von Abbas Antonios: “Wenn du siehst, dass ein junger Mönch mit seinem eigenen Willen nach dem Himmel strebt, halte seine Füsse fest, ziehe ihn nach unten, denn es hat für ihn keinen Nutzen.” Gerade der Junge muss mit sich und seiner Realität in Berührung kommen, um zu Gott zu gelangen. Sonst wird er zum Überflieger, und muss jäh abstürzen, weil seine Flügel, wie jene des Ikarus, nur aus Wachs sind. Wir brauchen genügend Bodenhaftung, damit der Absprung zu Gott gelingt. So kann gerade meine Begegnung mit der eigenen Sünde helfen, meine selbst konstruierten spirituellen Ideale zu verlassen und in die Abgründe meiner Seele zu springen.


c) Die Regel des hl.Benedikt

Benedikt beschreibt die Spvu in seinem längsten Kapitel, jenem über die Demut (Kap. 7). Dabei steht er ganz in der Tradition der Kirchenväter. Schon für Augustinus ist die Demut die Anerkennung des eigenen Masses und die ehrliche Selbsterkenntnis. In der Demut erkennt der Mensch sein Mass, das ihm gesetzt ist, dass er ein Mensch ist und nicht Gott. “Gott ist Mensch geworden. Du, o Mensch, erkenne, dass du Mensch bist! Deine ganze Humilitas besteht darin, dass du das erkennst.”

Demut ist aber auch Nachahmung der Demut Christi, seiner Selbstentäusserung im Tod, die für uns Erlösung bewirkt. Daher ist die Demut nicht zuerst eine Tugend, sondern eine religiöse Haltung, die den Menschen mit Christus verbindet. Augustinus meint daher, dass die Sünde verbunden mit Demut besser sei als die Tugend ohne Demut, denn die Demut öffnet für Gott. Und gerade die Sünde kann mich zur Kapitulation bringen.

Die Demut entspring einer Erfahrung Gottes, sie ist nicht etwas, das man sich durch Aszese erwerben kann, sondern etwas, das einem überkommt, wenn man Gott erfährt als den Geheimnisvollen und Unendlichen und sich selbst als den endlichen Menschen, als Geschöpf des göttlichen Schöpfers.

Benedikt vergleicht den Weg der 12 Stufen der Demut mit der Leiter, die Jakob im Traum gesehen hat. Die Stufen zeigen die Verwandlung des Menschen an: Der Wille (1-4); die Verwandlung der Gedanken (5-8) und die Verwandlung des Leibes (9-12). Der ganze Mensch mit allem, was in ihm ist, muss in einen Engpass kommen, um für Gott aufgebrochen zu werden. Alles, was in uns ist an Gefühlen, an Bedürfnissen, an Leidenschaften und Phantasievorstellungen, muss Gott hingehalten werden, damit er sie verwandelt. Verwandeln meint, dass sie in letzte Konsequenz Gott meinen. Das Heilmittel für unsere Gedanken und Gefühle ist die Gegenwart Gottes. Alles, was wir denken und fühlen, geschieht vor dem gegenwärtigen Gott, vor dem Gott, der uns wohlwollend anschaut und der unsern Gedanken und Gefühlen auf den Grund schaut. Vor Gott und in Gott erkennen wir, dass wir uns in allen Gedanken und Gefühlen letztlich nach Gott sehnen als dem, der allein unsere Sehnsucht zu erfüllen vermag.

Benedikt verweist daher in seiner 1. Stufe der Demut auf die Beziehung zu Gott. Die Psychologen halten die Beziehungslosigkeit für die zentrale Krankheit unserer Zeit. Heilung und Verwandlung kann nur geschehen, wenn wir alles, was in uns ist, auf Gott beziehen, auf den liebenden Gott, der uns mit seinem liebenden Blick in die Wahrheit führt. Die Verwandlung des Willens auf der 2. Stufe meint nicht, dass unser Wille gebrochen werde, sondern dass er immer mehr in die Gesinnung Jesu hineinwächst (4. Stufe).

Die Verwandlung unserer Gefühle geschieht über das Sprechen. Indem wir dem geistlichen Vater offenbaren, welche Gedanken und Gefühle uns bewegen, klärt sich unser Denken und Fühlen. Nicht das Verdrängen und Unterdrücken, sondern Aussprechen und Besprechen verwandelt meine Gefühle. Wenn ich sie ausspreche, halten sie mich nicht von Gott ab, sondern offenbaren mir meine tiefste Sehnsucht. (5. Stufe) Ein anderer Weg der Verwandlung geht über die Konfrontation mit meinen Schwächen. Ich weiche nicht aus, sondern halte meine Lustlosigkeit und Leere Gott hin. In der 7. Stufe söhne ich mich mit meinem Scheitern aus. Gerade die peinlichen Versagen und sogar die Schuld brechen mich auf für Gott. Auf der 10-12 Stufe geht  es um die Verwandlung des Leibes, auch unserer Stimme, die zeigt, ob wir durchlässig auf Gott hin sind, oder nur das Eigene zum tönen bringen. Die Verwandlung schliesst auch das Lachen ein. Es gibt ein Lachen der Befreiung, ein fröhliches Lachen, ein Lachen der Erlösten. Und es gibt das zynische Lachen, in dem wir uns über alles erheben, in dem wir ehrfurchtslos mit der Realität umgehen, in dem uns nichts mehr heilig ist. Dagegen setzt Benedikt die Achtsamkeit auf die Gegenwart Gottes, die uns heilt und befreit. Diese Achtsamkeit äussert sich in meiner Körperhaltung und auch in meinen Gesten. Gottes Gegenwart will sich bis in meinen Leib hinein ausdrücken. In der Verwandlung des Leibes, der Gebärden, der Stimme, des Lachens, vollendet sich der Weg der Demut: Da zeigt sich, dass der Mensch, mit Leib und Seele, durchdrungen ist von Gott und durchlässig für seine Liebe. Bei Benedikt führt der Weg der Reinheit des Herzens zur vollkommenen Liebe. Dieser Weg geht aber über das Hinabsteigen in die eigene Realität der Gedanken und Gefühle, der Leidenschaften und der Triebe, des Leibes und des Unbewussten.


d) Psychologische Aspekte der Spvu

Es ist ein Lebensgesetz für Jung, dass wir zu unserem Selbst und zu Gott nur finden, wenn wir den Mut finden, hinabzusteigen in unseren Schatten und in die Dunkelheit des Unbewussten. Demut ist für Jung der Mut, den eigenen Schatten anzuschauen. Ohne Demut würde der Mensch seine unangenehmen Seiten verdrängen. Die Demut ist für Jung auch die Voraussetzung, dass wir zu anderen Menschen Vertrauen entwickeln können. Der Stolz hingegen isoliert uns und schliesst uns von der menschlichen Gemeinschaft aus. “Wenn Sie einsam sind, so liegt das daran, dass Sie sich isolieren. Sind Sie bescheiden genug, dann bleiben Sie niemals einsam. Nichts isoliert uns mehr als Macht und Prestige. Versuchen Sie, herabzusteigen und Bescheidenheit zu lernen, und Sie werden nie allein sein!” (Jung Briefe III 93)

“Wenn das Geistige an die Menschen herangetragen würde, bevor sie sich in das Kreatürliche, Irdische eingelassen haben, dann gäbe es eine artifizielle, eine übersteigerte Religiosität, die nicht auf festem Boden steht.” (Bitter 189).

“Der Leib lehrt die meisten von uns, dass wir kleine Leute sind und nicht grosse Herren. Er bewahrt uns davor, uns für Götter zu halten. Unsere schlechthinnige Abhängigkeit von Wesen, über die wir nicht verfügen, von anderem und anderen, unsere radikale Nicht-Autarkie bewahrt uns vor der Illusion gottähnlicher Selbstgenügsamkeit, einer Täuschung des Hochmutes, der zwar Engel, aber nur wenige Menschen für kurze Zeit erliegen, z.B. Diktatoren, Fakire und Professoren. Hunger und Durst, Bedürfnisse und Wünsche versichern uns in jeder Sekunde, dass wir nicht Gott sind.” (Görres 20)

Auch für Dürckheim geht der Weg zu Gott oft über die Erfahrung der eigenen Not, der Bedrohung durch fremde Mächte, der Verzweiflung, der Ungerechtigkeit, der Einsamkeit und der Traurigkeit. Indem sich der Mensch in diese dunklen Erfahrungen hineinwagt, verwandelt sich das Gefühl, und auf dem Grund der Not zeigt sich der tragende und befreiende, der liebende und erleuchtende Gott.


e) Spvu in den Märchen

Hier weist Grün auf Wilhelm Laiblin hin (Wandlung im Märchen, in: Die Wandlung des Menschen in Seelsorge und Psychotherapie, hrg. V. Wilhelm Bitter, Göttingen 1956).

Laiblin zu “Frau Holle: Wenn wir in unserem Leben in eine auswegslose Situation kommen, kann es helfen, wenn wir uns einfach loslassen und Gott anvertrauen. Dort wo unser eigenes Bemühen an eine Grenze kommt, wo wir mit allem guten Willen doch immer nur in grössere Drangsal kommen, wäre es kein guter Weg, sich einfach anzupassen und zu resignieren. Der Sprung in den Brunnen, in die Tiefe, ist dort die Chance, in neue Bereiche vorzudringen, das Reich der Seele kennen zu lernen, in dem wir mit dem Goldregen unserer göttlichen Würde beschenkt werden. Der Weg in die Tiefe geht über das Vertrauen und Sichanvertrauen, über das Loslassen und Geschehenlassen. Ich kann diesen Weg nicht aus eigenem Entschluss gehen, sondern nur, wenn ich gerufen werde. Nur wer auf die Stimme des Lebens hört und ihr gehorcht, kann in der Tiefe die Lebensquelle finden. Wer in Unreife, d.h. aus ichhafter Willkür, Neugier oder Eigennutz geht, wird von den Jenseitigen genarrt und bestraft, wie die Pechmarie.

3. Entfaltung einer Spvu

Spvu bedeutet, dass wir Gott gerade in unseren Leidenschaften, in unseren Krankheiten, in unseren Wunden, Umwegen und unserer Ohnmacht suchen. Wir könnten sie befragen, was Gott uns darin sagen möchte und wie er uns gerade durch sie zu unserem wahren Selbst führen möchte. Manche, die äusseren Idealen nachstreben, kommen nie in Berührung mit ihrem wahren Wesen. Sie leben an der eigentlichen Berufung, die Gott ihnen zuteil werden lässt, vorbei.

Der Weg zum wahren Selbst ist aber nur der eine Aspekt der Spvu. Der andere ist die Erfahrung der eigenen Ohnmacht, die dann zum Absprung in die Gnade Gottes wird. Wir können nicht alles aus uns machen. Aber gerade dort, wo wir an den eigenen Vorstellungen von uns scheitern, dort möchte Gott uns anrühren und uns zeigen, dass alles Gnade ist. Dort, wo ich vor Gott kapituliere, kann eine persönliche Beziehung zu Gott anfangen. Erst wenn wir in unserem Bemühen um ein Leben nach Gottes Willen eingestanden haben, dass wir es nie erreichen werden, uns zu verwandeln, erahnen wir, was Glauben heisst - uns ganz und gar in Gottes Arme fallen lassen.


a) Der Dialog mit Gedanken und Gefühlen

Es geht darum in die Gefühle hineinzuhören und zu fragen, was Gott mir darin sagen möchte. Viele verurteilen sich wegen den negativen Gefühlen wie Zorn, Wut, Eifersucht und Lustlosigkeit und versuchen oft “mit Gottes Hilfe” gegen diese Gefühle anzugehen, um sie loszuwerden. Spvu würde bedeuten, dass ich mich aussöhne mit allen Leidenschaften und Emotionen. Alle können mich zu Gott führen. Wenn ich in meine Wut hineinhöre, sagt sie mir vielleicht, dass ich gegen mein wahres Wesen lebe, dass ich die Gestalt nicht zugelassen habe, die Gott mir zugedacht hat. Die Wut weist darauf hin, dass ich anderen zuviel Macht gegeben habe. Zu sehr habe ich die Erwartungen anderer erfüllt und zuwenig auf mich gehört. Nun haben sie die Grenzen überschritten und mich verletzt. Die Wut ist die Kraft, den anderen, der mich verletzt hat, aus mir hinauszuwerfen und so eine gesunde Distanz zu ihm zu schaffen. Anstatt die Wut zu unterdrücken, wäre der Dialog mit ihr der Weg, den Schatz in mir zu entdecken, das Bild in mir zu finden, das Gott sich von mir gemacht hat.

Vielleicht entdecke ich aber im hinuntersteigen auf den Grund meiner Wut, eine Quelle der Energie.

Vielleicht kann ich aber nicht mit meiner Wut in einen Dialog treten. Dann kann ich nur noch meine Ohnmacht bekennen und mich in Gottes Hände begeben. Dann verweist mich meine Wut auf meine Beziehung zu Gott.


Es sind also immer wieder drei Wege der Spvu:

  1. Der Dialog mit den Gedanken und Gefühlen.
  2. Das Hinabsteigen bis auf den Grund, bis sich etwas wandelt und ich neue Möglichkeiten entdecke und Gott finde.
  3. Die Kapitulation, das Eingeständnis, dass ich aus eigener Kraft nie weiter kommen werde - das sich in Gott fallen lassen.


Nun werden noch verschiedene Emotionen untersucht:

Jähzorn, der oft auf Situationen in der Kindheit hinweist, in denen man in seiner Einmaligkeit nicht ernst genommen wurde.

Ängste:

  1. Sie kann mich einladen, meine Grenzen zu respektieren und besser mit mir umzugehen.
  2. Die Angst hat immer einen Sinn, wir müssen nur ihre Sprache verstehen.
  3. Es gibt aber auch Ängste, die mit der menschlichen Existenz notwendig gegeben sind (Angst vor Einsamkeit, Tod etc.). Sie verweisen mich dann auf Gott.

Die Spvu geht auch anders mit den Trieben um. Sie versucht sie nicht zu beherrschen, sondern zu verwandeln. Sie fragt, wozu uns die Triebe antreiben wollen. Wenn ich meine Esssucht z.B. mit Fasten bestrafe, werde ich immer um diese Themen kreisen. Wichtiger wäre zu fragen, welche Sehnsucht hinter der Esssucht steht. Oft steckt dahinter die Sehnsucht nach Geniessen. Vielleicht muss ich das Geniessen lernen. Ziel geistlichen Lebens sollte das Geniessen Gott sein. Wer sich jeden Genuss verbietet, wird auch von Gott nichts erfahren. Wahre Askese ist nicht Verzicht, sondern Einübung in die Menschwerdung.

Ähnlich ist es mit der Sexualität. Wir haben sie oft aus Angst eingesperrt. Aber dann fehlt uns die Kraft der Sexualität für unsere eigene Lebendigkeit und für unsere Spiritualität. Oft überfällt uns die Sexualität aber einfach, und wir können das Gespräch mit ihr nicht mehr suchen. Wir erleben  nur unser Scheitern. Das zwingt uns zum demütigen Eingeständnis, dass wir uns selber nicht zu rein geistigen Menschen machen können. Wenn wir aber unsere Ohnmacht eingestehen, dann nimmt Gott seinen Kampf auf. Sicher kann die Sexualität so bestimmend werden, dass sie uns Gott gegenüber verschliesst. Aber es gibt auch die Erfahrung, dass das Regen der Sexualität immer auch spirituelle Energie mit sich bringt, dass die Sexualität uns immer wieder an die Sehnsucht erinnert, mit aller Leidenschaft und Liebe mit Gott zu verschmelzen und in ihm die Erfüllung unserer Sehnsucht zu erleben.


Irgendwann einmal werde ich müde sein von all den Versuchen, mich zu ändern. Dann wird auch mein Versuch, mich in Gott hinein loszulassen, nicht mehr Tugend sein, auf die ich stolz bin, sondern Ausdruck des gänzlichen Entblösstseins. Dann werde ich mich in Gott hineinfallen lassen, weil es die einzige Möglichkeit ist, die mir noch bleibt. Dann erst bin ich frei von allem Ehrgeiz, der meine Spiritualität immer wieder zu einer Leistung pervertieren möchte.


b) Das Gespräch mit meinen Krankheiten

Es gibt Krankheiten als Ausdruck der Seele. Hier soll man mit ihnen ins Gespräch kommen. Vielleicht zwingt uns der Leib zur Ruhe, zu der wir nicht kommen. Er meldet sich zu Wort, wenn wir das Mass überschritten haben. So sollten wir auf den Leib nicht von oben herab reagieren, indem wir ihn vorschnell mit Medikamenten zwingen, uns zu gehorchen. Gott selbst weist mich in der Krankheit auf meine Wirklichkeit hin. Vielleicht weist uns der Leib darauf hin, dass wir gegen unsere Berufung, gegen das Bild Gottes in uns leben.

Manchmal brauchen wir auch die Krankheit als ständigen Mahner, unserer Wahrheit gemäss zu leben.

Oft genug bleibt uns der Sinn der Krankheit verschlossen. Es gibt eben auch die Schicksalskrankheit, die uns von aussen geschickt wird, ohne dass wir durch sie unsere Psyche erkennen können. Dann bleibt uns nichts anderes übrig, als uns mit unserer Krankheit auszusöhnen. Die Krankheit zwingt uns dann, die eigenen Waffen aus der Hand zu legen und vor Gott zu kapitulieren. Oft huldigen wir da noch der Spvo, die uns weismachen will, dass wir eigentlich nicht krank sein dürften, wenn wir richtig lebten. In der Krankheit begegnen wir dem unverständlichen Gott. Da müssen wir all unsere Bilder von Gott und von uns selbst aufgeben, um uns dem wirklichen Gott zu überlassen, der all unsere Pläne und Vorstellungen durchkreuzt, um uns ganz und gar für sich aufzubrechen.


c) Der Umgang mit Verletzungen und Wunden

Dort wo ich verwundet bin, bin ich auch lebendig, dort spüre ich mich und die anderen. Durch die Wunde können die anderen in mich eintreten, und es kann zu einer Begegnung kommen,  die auch den anderen heilt. Wo ich stark bin, da kann ein anderer nicht in mich eindringen. Dort, wo ich gebrochen bin, kann auch Gott in mich einbrechen. Dort komme ich in Berührung mit dem wahren Selbst, dem Bild, das Gott von mir gemacht hat.

Wir leben oft in der Illusion, dass alle Wunden heilen können. Wir benutzen dann Gott dazu, dass er unsere Wunden heilen soll. Unter Heilung verstehen wir, dass die Wunden schliessen und wir sie nicht mehr spüren. So kreisen wir aber um unsere Wunden und bohren uns tiefer in sie hinein. Wir werfen Gott vor, dass er diese Wunde zuliess. Erst aber wenn wir bereit sind, uns mit unserer Wunde auszusöhnen, kann sie für uns zum Tor nach innen werden zu jenem Raum, in dem Gott selber in uns wohnt. Die Wunde zwingt uns, das Heil im innern zu suchen und nicht in den Tätigkeiten und Stärken. In jedem von uns ist dieser heile Raum, zu dem nur Gott zutritt hat. Dort können wir mitten in unserer Zerrissenheit den heilenden Gott in uns erfahren.


d) Die Erfahrung der Ohnmacht und des Scheiterns

Dort, wo ich nichts mehr kann, wo mir alles aus der Hand genommen wird, wo ich nur noch mein Scheitern feststellen muss, gerade dort ist auch der Ort, an dem mir nichts anderes übrig bleibt, als mich loszulassen, mich in Gott hinein zu ergeben, die Hände zu öffnen und die leeren Hände Gott hinzuhalten. Die Erfahrung Gottes ist nie eine Belohnung unserer eigenen Mühen, sondern die Antwort auf meine Ohnmacht. Sich in Gott hinein ergeben, das ist das Ziel des geistlichen Lebens.

Die Mönche rufen aber dennoch zur Anstrengung auf. Denn erst wenn ich bei allem Kämpfen spüre, dass ich mich nicht selber bessern machen kann, erkenne ich, was Gnade wirklich bedeutet. Sonst verkommt die Gnade zur „billigen Gnade.“ So heisst Askese nicht, seine Kraft zu erproben, sondern immer wieder an die Grenzen zu kommen, um sich dort dem Grenzenlosen zu ergeben.

Manchmal bleibt Gott gar keine andere Möglichkeit, den Menschen in seine Schwachheit zu führen als durch die Sünde. „Wenn Gott keinen anderen Ausweg mehr hat, dann lässt er die Sünde zu. Er lässt sie zu, um den Menschen in seine tiefste Schwachheit zu führen. Es ist der letztmögliche Weg. Aber zuweilen nimmt Gott eben seine Zuflucht zu diesem Weg, weil nur dort seine Kraft sich offenbart.“ (Isaak von Ninive) In meiner Sünde zerstieben alle Illusionen, die ich von mir gemacht habe. Ich erkenne, dass ich keine Garantie habe, nicht zu sündigen. Ich werde immer wieder in die Sünde fallen, wenn Gott mich nicht hält. Ich kann machen, was ich will, ohne Gnade bin ich der Sünde gegenüber hilflos. So wird die Sünde zur „felix culpa, wenn sie mir die eigene Ohnmacht zeigt. Die Sünde verweist mich dann auf Gott, der allein mich verwandeln kann.

Ich kann meine Sünde als Versagen deuten und mit Selbstvorwürfen reagieren. Das wird mich aber in die Resignation treiben. Ich kann sie auch verharmlosen, dann wird mein geistliches Leben verbürgerlicht. Und ich kann die Sünde verdrängen, dann werde ich zum Pharisäer. Die Spvu lädt uns ein, in der Sünde eine Chance zu sehen, sich ganz und gar auf Gott zu werfen. Was natürlich nicht heissen soll, dass ich bewusst sündigen soll. Wir sollen darum kämpfen, von Gott verwandelt zu werden.

Letztlich kann uns der Geist nur verändern, wenn er zerschlägt, wenn er aufbricht. Er muss Mauern, Befestigungen und Burgen zertrümmern. Es ist auch so, dass wir mehr lernen durch unser Versagen als durch unsere Erfolge. C.G. Jung meinte: „Ein erfolgreiches Leben ist der grösste Feind für die Verwandlung.“ Durch Scheitern und Versagen hindurch erkennen wir, dass allein Gott aus den Ruinen unseres Lebens sein Haus bauen kann. Wenn ich trotz meiner Anstrengung immer wieder in die gleichen Fehler falle, dann kann ich mit meinem Scheitern frei werden von allem egoistischen Streben. Statt mich zu beschimpfen, halte ich meine leeren Hände Gott hin. Ich schaue dann nicht auf meine Sünde sondern auf den barmherzigen Gott, der mich trotz allem liebt. Denn wenn ich mit meiner Sünde vor Gott stehe, zerbricht aller Ehrgeiz. Dann bin ich wirklich frei von allem Leistungsdruck, den ich mir auf meinem spirituellen Weg gemacht habe. Ich muss ja gar nichts leisten. Gott ist es, der mich verwandelt, der mich durch mein Scheitern und meine Sünde, durch meine Misserfolge und Enttäuschungen, für sich aufbricht, damit ich endlich aufhöre, Gott mit meiner eigenen Tugend zu verwechseln und mich ihm ganz und gar übergebe.


e) Spvu und die Gemeinschaft

Oft jammert man, dass die Gemeinschaft nicht dem Ideal entspreche. Man versucht dann, die Gemeinschaft dem Ideal anzunähern. Oft stülpt man dann aber ein Bild über die Gemeinschaft, das sie gar nicht erfüllen kann. Es wäre wichtiger gerade in den Mängeln den Schatz zu suchen und in die Realität hinabzusteigen. Dort können wir dann entdecken, welche Blockaden, aber auch welche Energien in der Gemeinschaft stecken. Dort setzt die Verwandlung an.

Gerade in der Politik ist es üblich, dass jener, der einen Fehler begeht, abtreten muss. Das führt aber dazu, dass Politiker herangezüchtet werden, die nichts mehr wagen. Dann verliert die Politik jede Kreativität. In der Kirche ist es nicht viel anders. Alle versuchen dann nur noch eine reine Weste zu behalten.

Oft verschweigen wir auch die Zusammenbrüche in den Familiengeschichten oder in der Kirchengeschichte. Ganz anders im Stammbaum von Jesus. Da wird ein Stammbaum gezeichnet, der auch durch Brüche hindurch ging. Gerade durch Brüche hindurch schafft aber Gott immer wieder Neues, und baut aus den Ruinen vergangener Generationen. So wäre ein mutiges Anerkennen der Schuld in der Familiengeschichte und in der Kirchengeschichte befreiend. Denn Schuldverdrängung und Entschuldigungsmechanismen legen uns auf die Vergangenheit fest und zwingen uns, sie zu wiederholen. Nur das Eingeständnis der Schuldgeschichte würde uns für eine heilere Zukunft bereiten.

Eine Gemeinschaft kann nicht von einer Spvo leben. Die hohen Ideale hindern sie, sich auf die wirklichen Menschen einzulassen. Viel zu viele Gemeinschaften sind auf Träume und schöne Worte gebaut. In einem Organismus wird immer das schwächste Glied krank. So ist es auch in der Gemeinschaft. Daher ist es wichtig, sich gerade auf die Kranken, die Randfiguren, die Unzufriedenen und Nörgler einzulassen und sich ihnen zuzuwenden.

4. Demut und Humor als Grundzug christlicher Existenz

Spvu ist nur ein anderer Begriff für den Weg der Demut. Demut ist eine religiöse Haltung, die wir uns nicht selber zulegen können. Sie wächst aus der Begegnung mit Gott und mit mir selber. Demut ist der Weg des Hinabsteigens in die eigene Erdhaftigkeit, und dieses Vertrautwerden mit dem Humus in uns führt zum Humor. Demut ist gelassen und geht humorvoll mit der eigenen Wirklichkeit um. Eine Spiritualität, die sich von der Demut leiten lässt, führt nicht zu einem Menschen, der sich künstlich klein macht. Die Demut wird vielmehr zur inneren Wahrhaftigkeit führen, zur Gelassenheit, zum Humor. Humor ist die Aussöhnung mit unserer Menschlichkeit, Erdhaftigkeit, Hinfälligkeit. P.L. Berger nennt den Humor ein Zeichen der Transzendenz. Humor söhnt sich mit der Realität aus, Idealismus führt oft zur Flucht vor ihr. Humor erkennt scharfsinnig das Unvollkommene und verzweifelt nicht, wird nicht mürrisch, sondern liebt diese Erde trotz allem, weil er von der geheimen Überzeugung beseelt ist, dass das Unvollkommene irgendwie in Ordnung ist. So ist der Humor letztlich nicht Sache des Charakters, sondern des Glaubens. Humor sagt Ja zu seinem Schicksal, aus der Gewissheit heraus, dass auch noch die Nichtigkeit des Menschen vom Willen Gottes gehalten und von seiner Liebe durchströmt wird.

Das Anerkennen unserer Menschlichkeit ist nicht nur die Bedingung echter Menschwerdung, sondern auch die Voraussetzung für wirkliche Gotteserfahrung. Ohne Demut stehen wir in der Gefahr, Gott zu vereinnahmen. Demut ist das Fundament, das uns schützt, auf dem Weg zu Gott abzuheben und unser Menschsein zu überspringen. Sie bewährt uns vor der Inflation, die die grösste Gefahr für religiöse Menschen darstellt.

Das NT versteht die Demut aber auch als Verhalten den Menschen gegenüber. Daher wird Demut zusammen mit Sanftmut, Milde, Grossherzigkeit und Erbarmen gesehen. Demut bedeutet auch Ehrfurcht vor dem Geheimnis des anderen. Wer seiner eigenen Menschlichkeit begegnet ist, der kann sich auch mit den anderen Menschen aussöhnen, auch wenn sie noch so schwach und unvollkommen sind. Er sieht alles umfangen vom milden Blick des liebenden Gottes.

Auf dem geistlichen Weg ist das Paradox wahr: Wir steigen auf zu Gott, indem wir hinabsteigen in unser Menschsein. Das ist der Weg der Freiheit, der Liebe und der Demut – es ist der Weg Jesu.

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